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Channel: Mutter – umstandslos.
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Kleinfamilienfalle

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Wenn eins Mutter wird, schnappt die Falle zu, egal was vorher war. Das hat auch Li-Ming erlebt.

von Li-Ming

Ich starre empathielos den Menschen an, der sich vor mir auf meinen Boden wirft und brüllt, weil ich ihm ein Taschentuch angeboten habe. Mein linkes Augenlid fängt an, angestrengt zu zucken. Ich weiß, dass ich mich jetzt zusammenreißen muss, denn der Mensch vor mir ist meine kleine Tochter und sie ist gerade in ihrer Emanzipationsphase. Emanzipationsphase ist ein Wort, was ich von meiner Oma gelernt habe. Es klingt besser als Trotzphase, denn Emanzipation kann ich verstehen und fördern. So fühlt es sich jetzt gerade aber nicht an.

Meine Haare sind ungekämmt, ich habe Rotz auf dem Pulli, die Haare meiner Tochter sind auch ungekämmt und an ihr klebt überall Rotz. Wir haben gerade eine Stunde darum gekämpft, wer sie anzieht. Ich würde sie das gerne alleine machen lassen, aber leider zieht sie sich beharrlich den Body über die Füße, weil sie es verabscheut, Klamotten über den Kopf zu ziehen.

Ich war mal eine recht produktive Künstlerin. Ich bin mal viel ausgegangen. Ich war mal cool.

Manchmal ist sogar mein Herz leer.

Jetzt weiß ich nicht genau, was ich bin. In erster Linie bin ich müde. Mein Kopf ist oft leer und manchmal ist sogar mein Herz leer, weil ich alle meine Energie und Liebe nach außen gepumpt habe.

Um mich selbst zu definieren sollte ich nach Innen schauen, stattdessen bemerke ich meine dünne Haut. Wie es mir Nahe geht, wenn Fremde, Freund_innen und Familie darüber urteilen, ob ich noch stille, zu streng oder zu locker mit meinem Kind bin, vor meinem Freund kusche. (Ganz zu schweigen davon, was Rassist_innen denken, wenn eine nicht-Weiße mit einem dreckigen Kind aus dem Haus geht.) Wie ich mir die Fingernägel abkaue, wenn ich mich ungeliebt fühle.

Ich bin einfach wirklich keine „starke Frau“ zurzeit. Manchmal nicht stark, manchmal nicht Frau. Aber ich mache genau das, was Frauen seit vielen Generationen machen.

Kleinfamilienfalle

„Rutsch nicht in die Kleinfamilienfalle!“ haben mich meine Freundinnen gewarnt, als ich schwanger mit meinem Freund zusammenzog. Welche Falle? Schnapp.

Ich bin bi, ich bin genderfluid, ich war poly, jetzt haben wir uns für eine traditionelle romantische Zweierbeziehung entschieden.

Im typischen Vater-Mutter-Kind-Spiel habe ich die Rolle derer, die von ihrem Versorger (Mann) finanziell abhängig ist. Ich beute mich emotional aus, er sich physisch. Das Kind schreit „Mama“, wenn es hinfällt. Nicht „Papa“.

Ich sorge dafür, dass es schön ist. Frisches, leckeres Essen. Aufmunternde Worte, liebevolle Rücksichtname, das liegt mir. Aber es kostet auch Energie.

Ich fühle mich, als wären meine Bedürfnisse und die meiner Liebsten die Mäuse bei dem Mausdeckelspiel, das ich früher mal auf dem Computer gedaddelt habe. Immer, wenn ich denke, ich habe alle gedeckelt, kommt eine aus einem Loch, auf dem ich eben noch den Deckel hatte. Wenn er Alltag läuft, geht die Leidenschaft und Kreativität drauf. Wenn Leidenschaft und Kunst gut laufen, türmt sich der Haushalt. Wenn ich das gebacken kriege, leidet die Uni.

In der gesellschaftlich anerkanntesten Familiensituation

Ich bin angestrengt. Mein Genuss und meine Ruhepausen, die ich öfter habe, fühlen sich erbeutet an. Ich habe keine Erziehungsmethode, ich tue einfach, was mir richtig erscheint. Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen. Ich schaffe es nicht, immer um die gleiche Zeit Essen zu machen, Rituale einzuhalten und mich an Strukturen zu halten. Nicht mal dann, wenn ich sie mir fein säuberlich in einen Stundenplan schreibe. Aber zumindest stehle ich mir auf diese Art immer wieder die Zeit, statt den Abwasch zu machen ein Gedicht zu schreiben, ein Lied zu singen, eine Wand zu besprühen oder eine Performance zu erspinnen. Immer wieder bilde ich mir ein, wenn ich mir genug Mühe gäbe, dann liefe alles perfekt. Wieso sollte es das? Weil ich in der gesellschaftlich anerkanntesten Familiensituation bin? Vater, Mutter, Kind hat noch nie „geklappt“. Selbst in den Fünfzigern, in denen ein Mann von seinem normalen Gehalt noch eine ganze Familie ernähren konnte, waren die guten Männer die, die nicht schlugen, spielten, soffen und betrogen. Die guten Frauen waren hübsch und lieb und sexy und wasweißichnoch. Das ist doch auch Scheiße. Wird oft so getan unter arbeitenden Frauen, die sich in männerdominierten Berufen durchsetzen müssen, als wäre das die einfache, sichere Alternative. Für Frauen, die zu feige sind, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Yeah, unbezahlte Reproduktionsarbeit. Es gibt Menschen, die es leichter haben. Es gibt auch eine Menge mit weniger Privilegien als ich, die ihr Leben mehr unter Kontrolle zu haben scheinen als ich.

Als ultimatives Zeichen der Kapitulation gehe ich mit tränenverschmierten Wangen, ungeputzten Zähnen, ungekämmten Haaren und Rotzflecken aus dem Haus. Mein Kind hat noch die Hälfte der Kletten. Ich bin heute keine gute Feministin, denn ich schaffe es nicht, für das einzustehen, von dem ich überzeugt bin. Ich fühle mich gar nicht als Kämpferin, gar nicht stark und auch nicht so als wäre ich immun gegen den gesellschaftlichen Druck. Das wäre ich gerne. Ich weiß, das sollte mir alles den Buckel runterrutschen. Und ich bin auch keine gute Hausfrau. Nichts blitzt nichts ist hübsch. Heute schwänze ich Uni, weil ich einen Nervenzusammenbruch habe. Morgen geht’s wieder weiter. Aber die Anforderung bleibt. Eine Mutter zu sein bedeutet, ein Vorbild sein. Ich fühle mich nicht vorbildlich, weil ich einknicke unter dem, was ich mir einreden lasse. Da ist sie, die Frau, die sich nicht emanzipiert hat. Die in ihrer luxuriösen Lebenslage versagt. Die noch nicht mal in ihrer Beziehung die Hosen anhat. Fuck you, bin ich halt verletzlich. Ich kämpfe aber weiter. Und manchmal bin ich dazu zu müde. Manchmal geht es nicht um Richtig und Falsch oder um Gerechtigkeit. Manchmal geht es eben darum, sich selbst zuzulassen.

Denn ich bin vielleicht schwach, aber das ist okay so.

Und vielleicht schaffe ich es ja, irgendwann mal lieb zu mir zu sein. Zumindest das hätte Vorbildfunktion.

 

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Erschienen in: weiter.machen

Bild: Li-Ming. Rahmen umstandslos



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